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Dorfgeschichte aus nationalsozialistischer Perspektive
Digitale Edition der Selbstzeugnisse des Glandorfer NSDAP-Organisationsleiters Bernhard Beckmann − Ein Digital Public History Projekt
Projektleitung: Prof. Christoph Rass, PD Dr. Frank WolffBearbeiter: Maik Hoops, M.Ed.; studentische Hilfskräfte: Julia Grewe, Vincent Jakubowski, Valentin Loos, Johannes Pufahl
Förderer: VGH-Stiftung, Landschaftsverband Osnabrücker Land e. V., Kulturbüro des Landkreises Osnabrück
Kooperationspartner: Heimat- und Kulturverein Glandorf e. V.
Laufzeit: November 2022 bis April 2024
Bernhard Beckmann im mittleren Alter mit Pfeife, Jahr unbekannt
Bernhard Beckmanns damaliges Wohnhaus, das Geschäftshaus Wibbelsmann (Foto ca. zwischen 1920 und 1940)
Im November 2022 startete das Projekt zur digitalen Edition der Selbstzeugnisse des Bernhard Beckmann aus Glandorf. Dabei handelt es sich um ein von der VGH-Stiftung, dem Landschaftsverband Osnabrücker Land sowie dem Kulturbüro des Landkreises Osnabrück gefördertes Kooperationsprojekt zwischen der Professur für Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung (NGHM) der Universität Osnabrück und dem Heimat- und Kulturverein Glandorf. Die in diesem Projekt edierten Schriften aus den Jahren 1914 bis 1918 und 1933 bis 1945 stammen aus dem Nachlass des Glandorfer Volksschullehrers und Organisationleiters der lokalen NSDAP, Beckmann, der über Jahrzehnte seine Erlebnisse, Gedanken und Beobachtungen in ausführlichen tagebuch- und chronikartigen sowie autobiografischen Schriften festhielt. Etwa 200 Seiten umfasst sein handschriftliches Tagebuch aus dem Ersten Weltkrieg, an dem Beckmann als Soldat teilnahm. Der Nachlass aus den Jahren 1933 bis 1945 umfasst etwa 780 teilweise hand- und teilweise maschinenschriftlich verfasste Seiten.
Der 1893 in Osnabrück geborene und dort aufgewachsene Beckmann kam 1918 nach Glandorf, wo er eine Stelle als Volksschullehrer erhielt und später in die Glandorfer Familie Wibbelsmann einheiratete. Im nationalsozialistischen Deutschland begann er dann, sich ambiotioniert in der örtlichen NSDAP zu betätigen, wo er schnell zum Organisationsleiter aufstieg. Der in dieser kleinen, katholisch geprägten Gemeinde gut vernetzte und einflussreiche Beckmann wurde so zu einer zentralen Stütze der NS-Diktatur im lokalen Kontext und prägte besonders aktiv die Herstellung der nationalsozialistischen ‚Volksgemeinschaft‘ und das gesellschaftliche Leben in Glandorf.
Seine eigene Tätigkeit, das Geschehen im Ort, regionale, überregionale, landesweite und globale militärische sowie politische Ereignisse und Entwicklungen im Kontext des Zweiten Weltkriegs sowie der vorangehenden Jahre beschrieb und kommentierte Beckmann eifrig. Er wohnte derweil im Herzen Glandorfs im Geschäftshaus Wibbelsmann direkt neben der Kirche. Dieser Wohnort bot dem betriebsamen Tagebuchschreiber beste Voraussetzungen, das politische und kulturelle Geschehen im Ort zu beobachten, mitzugestalten und aus seiner Sicht zu erzählen. Heute befindet sich in dem restaurierten Haus unter anderem das Glandorf-Archiv, in dem die originalen Tagebücher Beckmanns verwahrt werden.
Das edierte Quellenensemble gewährt seltene und tiefe Einblicke in die Herstellung der nationalsozialistischen ‚Volksgemeinschaft‘ und ihre Praktiken, den gesellschaftlichen Alltag sowie die Wahrnehmung des nationalsozialistischen Deutschlands und des Zweiten Weltkriegs im bzw. aus dem lokalen Kontext einer ländlich und katholisch geprägten Gemeinde im Südwesten des heutigen Niedersachsen heraus. Die Schriften bekunden, gebrochen durch die Linse eines sich selbst erzählenden und idealisierenden Autors, die Entwicklung eines lokalen Akteurs vom Soldaten des Ersten Weltkriegs zum zentralen Funktionär einer NSDAP-Ortsgruppe. Auch stellen die aus der Gemeinde Glandorf im äußersten Süden des Osnabrücker Landes stammenden Quellen einzigartige und wertvolle landes- und lokalgeschichtliche Zeugnisse dar.
Im Projekt werden die Selbstzeugnisse Beckmanns — im Sinne einer wissenschaftlichen Digital Public History — in einer kritischen und digitalen Online-Edition, die mithilfe des Open-Source-Tools Omeka erstellt wird, für die Öffentlichkeit erschlossen und für die kulturelle, didaktische sowie wissenschaftliche Weiternutzung aufbereitet.
Exemplarische Einblicke in Beckmanns Schriften
Ausschnitt 1: Eintrag vom 27.01.1943; Transkript: „27.1. Heldenkampf in Stalingrad. Die Stimmung ist sehr ernst. u. niedergeschlagen. War die Rede davon. Auch viel Mißmacherei. Im allgemeinen aber große Trauer. Große Hoffnung auf die Zukunft. Alles wartet auf Nachrichten.“
Ausschnitt 2: Eintrag vom 01.10.1939, maschinenschriftlich.
Ausschnitt 3: Eintrag vom 11.11.1940; Transkript: „11.11. Gestern morgen hing sich Jos. Kröger, 52 Jahr, Halbidiot. Krankenhaus an der Wüpsenbirke aufgehangen. Es scheint hier eine Krankheit zu sein. (Allein drei im letzten halben Jahr.)“